Bundestrainer Alfred Gislason lobt Flensburgs Johannes Golla: „Einer wie Marcus Ahlm“

Als die deutschen Handballer am Mittwochmorgen um 9 Uhr das Charterflugzeug Richtung Frankfurt bestiegen und ihre Rückreise von den Europameisterschaften in Bratislava antraten, hatte Trainer Alfred Gislason den siebten Platz und jede Menge wichtiger Erkenntnisse mit im Gepäck.

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Sportlich liefen die vorangegangenen 14 Tage in der slowakischen Hauptstadt, ganz anders als geplant, weil das Coronavirus im deutschen Lager wütete. Fast täglich gab es Ausfälle, fast täglich mussten neue Spieler nachnominiert werden.

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Gislason war als Krisenmanager gefragt und als Improvisationskünstler. Insgesamt 28 Akteure kamen zum Einsatz. Der Coach hat sich so allerdings schon mal einen Überblick verschaffen können, wer eine Zukunft im DHB-Team haben könnte.

EM 2024 im eigenen Land ist das große Ziel

Bis zur Europameisterschaft 2024 im eigenen Land will Gislason ein Team formen, das international wieder höchsten Ansprüchen genügt und um die Medaillen mitspielt. „Den einen oder anderen, der hier eingesprungen ist, wird man sicherlich noch einmal wiedersehen. Wir haben eine gute Breite“, sagt Gislason, dem die stressige Zeit während der EM – auch sein Co-Trainer Erik Wudtke erkrankte an Corona und fiel aus – trotz aller Widrigkeiten „sehr viel Spaß gemacht haben, auch wenn mir das vielleicht keiner glaubt“.

Julian Köster ist die Entdeckung des Turniers aus deutscher Sicht

Wenn er etwa über Julian Köster spricht, bekommt der Isländer strahlende Augen. „Den kannte vor dem Turnier doch kaum einer. Aber was der hier gezeigt hat, war klasse.“ Der 21-Jährige vom Zweitligisten VfL Gummersbach, der durch die coronabedingten Ausfälle der Platzhirsche Julius Kühn und Sebastian Heymann mehr Spielzeit als ursprünglich vorgesehen war bekam, ist die Entdeckung des Turniers aus deutscher Sicht.

Gislason: „Mir ist Julian bereits bei der U21-WM 2019 aufgefallen, als er zum besten Abwehrspieler ins Allstar-Team nominiert wurde. Für mich ist nicht das Alter das wichtigste Kriterium, ich schaue lieber, was einer für die Mannschaft bringen kann.“

Und auch über Johannes Golla, dem er nach dem Rücktritt von Uwe Gensheimer das Amt des Mannschaftskapitäns übertragen hatte, war Gislason in den Tagen von Bratislava stets voll des Lobes. „Er hat das überragend gemacht.“

Gislason vergleicht den 24-Jährigen von der SG Flensburg-Handewitt sogar mit Marcus Ahlm, der unter Gislason langjähriger Spielführer beim THW Kiel war. „Johannes erinnert mich stark an Marcus.“ Worte, die einem Ritterschlag gleichkommen. Gislason schätzt vor allem Gollas Einstellung und Hingabe für den Handballsport. „Johannes denkt zu allererst ans Team. Und er ist wie ein Dieselmotor. Der läuft und läuft und läuft.“

Golla einer von nur vier Spielern, die alle sieben Spiele bestritten

Golla war einer von nur vier der 17 ursprünglich für die EM gemeldeten Spieler, die nicht an Corona erkrankten und alle sieben Partien bestritt. „Die eine oder andere Pause hätte ich gerne schon gehabt“, sagt der Flensburger.

Doch selbst im sportlich bedeutungslosen letzten Spiel gegen Russland, das die Deutschen am Dienstagabend mit 30:29 gewannen, musste Golla noch einmal über die volle Distanz ran, weil mit Patrick Wiencek der zweite Kreisläufer und Innenblocker der 6:0-Deckung wegen eines positiven PCR-Tests tags zuvor kurzfristig ausgefallen war. Ersatz für diese Positionen gab es nicht mehr.

Und so tat der Flensburger auch zum Abschluss noch einmal das, was er in den sechs Spielen zuvor immer verlässlich getan hatte. Verdichtete in der Abwehr die Räume, blockte Würfe, warf sich in jeden Zweikampf.

Im Angriff stellte er Sperren, schuf mit seinen 1,95 Metern und 110 Kilogramm Körpermasse Räume für die Rückraumspieler und wenn er einmal selbst den Ball bekam, wand sich Golla um den gegnerischen Abwehrspieler herum, wuchtete den Ball ins Tor. Mit 28 Treffern war der Mannschaftskapitän bester deutscher Werfer bei diesem Turnier. „Johannes ist eine Maschine“, sagt der Berliner Paul Drux ehrfurchtsvoll.

Auch wenn Golla „gerne noch zwei Spiele mehr“ gemacht hätte, freut er sich jetzt erst einmal auf „ein paar Tage Pause, wenn Maik (Flensburgs Trainer Maik Machulla, Anm. d. Red.) mich lässt.“ Denn die Turniertage waren für ihn herausfordernd. Physisch, aber vor allem mental.

„Die täglichen Tests, die Warterei auf die Ergebnisse, die ganzen Coronafälle – das hat einen schon belastet. Und ich musste mich um vieles kümmern, auch abseits des Platzes. So habe ich mir mein erstes Turnier als Kapitän nicht vorgestellt. Aber die Mannschaft hat das alles toll gemeistert. Hier ist ein richtiger Geist entstanden. Die Tage waren anstrengend, aber auch lehrreich. Das wird uns für die Zukunft sicher helfen.“

Auch Golla hatte am Mittwochmorgen beim Abflug aus Bratislava wichtige Erkenntnisse mit im Gepäck.

„Hölle Nord“-Podcast: Göran Sögard von der SG Flensburg-Handewitt über die Reha, Kolstad, die EM und Privates