Das Herzschlagfinale zwischen dem THW Kiel und der SG Flensburg-Handewitt

Meine Finger malträtieren den Kugelschreiber. Ich weiß nicht, ob ich sitzen oder stehen soll – also mache ich beides abwechselnd. Mein ganzer Körper ist verkrampft. Ich versuche vergeblich, einen klaren Gedanken zu fassen und mir den nächsten Satz für den Liveticker zu überlegen. Schließlich bin ich an diesem 27. Juni als Reporter hier. Aber die Spannung ist kaum auszuhalten.

Liveticker zum Nachlesen: Das Herzschlagfinale um den Titel

Auf einem Fernseher zu meiner Linken laufen auf der Pressetribüne der Flens-Arena die letzten Sekunden des Bundesliga-Spiels zwischen den Rhein-Neckar Löwen und dem THW Kiel. Es steht 25:25, die Mannheimer haben den Ball. Machen sie ein Tor, ist die SG Flensburg-Handewitt Deutscher Handball-Meister. Treffen sie nicht, jubelt der THW. Es ist die ultimative Zuspitzung einer 38-Spiele-Mammutsaison.

Gespenstische Stille

Die SG hat schon seit einigen Minuten Feierabend, das 38:26 gegen Balingen-Weilstetten war ein schneller Gang. Jetzt hocken die Flensburger Profis – ganz vorne kniet Geschäftsführer Dierk Schmäschke – vor einem kleinen TV-Gerät zwischen Süd- und Haupttribüne. Manche kauen an ihren Fingernägeln, andere ziehen sich das Trikot über den Kopf, einige wenden sich ab. Zu viel Drama!

Viele der 2300 zugelassenen Zuschauer schauen gebannt auf ihre Smartphones, bis eine Hallenkamera das Fernsehbild einfängt und auf die Videoleinwände überträgt. In Mannheim: Freiwurf für die Löwen. In Flensburg: Gespenstische Stille. Niemand ist in der Lage, einen Mucks von sich zu geben.

Schmid verwirft – Kiel ist Meister

Die Schiedsrichter geben das Spiel frei, Andy Schmid wirft, die Flensburger Fans setzen schon zum Jubelschrei an – aber der Ball geht über das Tor. Der THW Kiel ist Deutscher Meister! Im Norden Schleswig-Holsteins erfüllt ein kurzes Raunen die Flens-Arena – Enttäuschung! Es folgt minutenlanger Applaus – Stolz!

„Hölle Nord“-Podcast: Die SG Flensburg-Handewitt – ein Team mit Charakter

Dass die SG in einer außergewöhnlichen Saison unter Corona-Bedingungen und mit schier endlosem Verletzungspech Außergewöhnliches geleistet hat, weiß hier jeder einzuordnen. 700 Kilometer weiter südlich feiern die THW-Stars im Schampus- und Konfettiregen ihren Titel. Sie haben allen Widerständen getrotzt und Großes vollbracht.

Nur Gewinner

An diesem sonnigen Sonntag ist eine Einordnung in Gewinner und Verlierer sinnlos. Es gibt nur Gewinner: Den THW, den Meister. Die SG, die niemals aufgibt. Schleswig-Holstein, das Land mit zwei der weltbesten Handball-Teams. Den Handball, der einen Thriller von Hollywood-Format produziert hat. Und irgendwie auch mich, der Augenzeuge dieses vollkommen irren Spektakels war.

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Luca Sixtus: Wie der Bundesliga-Aufstieg für Holstein Kiel so nahe war – und doch so fern

Jonas Altwein: Football-Mania in Elmshorn: Als das Krückaustadion zum Leben erwachte

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