SG Flensburg-Handewitt vs. THW Kiel – ein Blick in die Historie des Handball-Klassikers

Der Nordgipfel, die Mutter aller Derbys, der ultimative Handball-Hit: Das Duell THW Kiel gegen SG Flensburg-Handewitt elektrisiert seit Jahrzehnten die Fans nicht nur im hohen Norden. Immer wenn die beiden Erzrivalen aus Schleswig-Holstein aufeinandertreffen, geht es mehr als um Punkte und Prestige. Da kochen die Emotionen hoch, da geht es um Titel und Triumphe.

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SG gegen THW – die 1992 begonnene und mittlerweile 103 Duelle umfassende Derby-Historie ist reich an Anekdoten und Geschichten. Vor dem Bundesliga-Spitzenspiel zwischen Tabellenführer Kiel und Verfolger Flensburg am Sonnabend (18.05 Uhr/ARD) in der Flens-Arena haben wir mit vier ehemaligen Profis gesprochen, die während ihrer aktiven Karriere häufig Hauptrollen in diesen Krimis gespielt haben.

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Johnny Jensen

„Ich habe die Derbys geliebt. Sie waren etwas ganz Besonderes.“ Mit einer Prise Wehmut darüber, nicht mehr in die Schlacht ziehen zu können, wird Johnny Jensen am Sonnabend auf seinem Sofa im norwegischen Notteroy, 70 Kilometer südwestlich von Oslo, Platz nehmen, um im Internet das Nordderby Flensburg gegen Kiel zu verfolgen. Der ehemalige Handballprofi, der von 2003 bis 2010 das SG-Trikot trug, erinnert sich:

Dieses Hochgefühl stellte sich bereits nach dem ersten von insgesamt 20 Nordgipfeln in Jensens Karriere ein. Es war der 18. November 2003, als die Flensburger mit 31:29 die Festung Ostseehalle stürmten. Fünffacher SG-Torschütze: Neuzugang Johnny Jensen. „Das ist meine schönste Derby-Erinnerung“, berichtet der heute 49-Jährige. „Ich habe immer großen Respekt vor dem THW Kiel gehabt. Als wir dann in dieser riesigen Arena mit über 10000 Zuschauern, in dieser feindseligen Atmosphäre gewonnen hatten und anschließend mit den mitgereisten SG-Fans feiern konnten – das war ein tolles Erlebnis.“

Und es war der Beginn einer goldenen Ära bei der SG, die den Gewinn der deutschen Meisterschaft, des Pokals und vieler Nordderbys umfasste. Natürlich gab es weiterhin auch Niederlagen. So wie am 23. Dezember 2006 beim 34:36 in der Bundesliga. „Ich erinnere mich genau: Das Weihnachtsfest war versaut“, sagt der „Handballgott“. Seine Frau habe dann stets erklärt, es sei doch nur ein Handballspiel. „Doch für mich war das viel mehr“, so Jensen.

Unvergessen ist eine Rangelei mit THW-Star Stefan Lövgren im Februar 2005. Per schneller Mitte wollte Jensen beim 26:26 kurz vor Abpfiff den Ball ins leere Kieler Tor werfen, als er rabiat vom Schweden gestoppt wurde – Ringkampf, Rudelbildung, zwei rote Karten. Jensen: „Keine große Sache. So ist Handball, so waren die Derbys.“

Dominik Klein

Dominik Klein kommt keine konkrete Erinnerung, kein konkreter Moment ins Gedächtnis, wenn er an die 36 Derbys denkt, die es während seiner Zeit beim THW Kiel zwischen 2006 und 2016 gegen die SG Flensburg-Handewitt gab. Vielmehr ist es ein Gefühl der ultimativen Genugtuung, das ihm noch immer ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Der 37-Jährige schwärmt:

15 Mal lief der ehemalige Linksaußen im THW-Trikot in die Flensburger Arena ein, immerhin sieben Mal kam der achtmalige Deutsche Meister in den Genuss eines Sieges.

Schon die 90-Kilometer-Fahrten seien besonders gewesen. „Da gab es wegen der kurzen Anfahrt immer diesen speziellen Spannungsbogen. Wenn wir in Kiel in den Bus gestiegen sind, war sofort Ruhe, weil jeder direkt im Tunnel war“, erzählt Klein.

Am Sonnabend analysiert er als Experte für die ARD vom Spielfeldrand aus, früher war er auf der Platte jahrelang selbst eine der Hauptpersonen des Derbys und mitverantwortlich dafür, wenn die „Hölle Nord“ überkochte. „Ich bin ja eher der emotionale Typ“, sagt Klein, der mit seiner impulsiven Art nicht selten ins Visier der Flensburger Fans geriet. Aber für welchen Kieler galt das nicht? „Schon wenn wir 45 Minuten vor dem Spiel zum Aufwärmen rauskamen, gab es ein Pfeifkonzert von der vollen Nordtribüne“, erinnert sich Klein. „Ich habe dann immer auf Christian Zeitz gewartet. Wenn er kam, wurde es noch lauter.“

Die typische Derby-Hitze wird es morgen ohne Fans nicht geben. „Ich bin gespannt, wie die Atmosphäre wirkt“, sagt Klein. Er prophezeit: „Der THW holt die Punkte.“

Jan Fegter

Es sind zwei Derbys, die Jan Fegter spontan als persönliche Highlights einfallen. „Das eine ist dieses Spiel, wo ich zwölf Tore oder so gemacht habe und das andere unser erster Sieg in Kiel“, sagt der frühere Mannschaftskapitän der SG Flensburg-Handewitt.

Seine Erinnerungen sind etwas unscharf. „Es gibt ja Handballer, die präzise jedes Ergebnis und ganze Spielverläufe erzählen können. Ich krieg’ immer nur Fragmente zusammen“, meint der 51-jährige Anwalt und Notar, der von 1995 bis 2003 für die SG gespielt hat und ihr noch heute als Geschäftsführer des Sponsorenpools „Club 100“ eng verbunden ist.

Tatsächlich waren es 13 Tore, die er THW-Keeper Michael Krieter beim 28:25-Heimsieg im Februar 1996 eingeschenkt hatte.

Überhaupt war es ein starkes erstes Jahr in Flensburg für den Rückraumspieler, der vom VfL Hameln gekommen war. Bereits im Hinspiel, bei dem die SG ein 23:23 in der Ostseehalle erkämpfte, erzielte er acht Tore. Das hatte er nicht mehr parat: „Echt? Acht Dinger in Kiel? Das wusste ich nicht mehr. Ich war ja auch oft nicht so gut in Kiel.“ Zu den 22 Derbys, die er bestritten und dabei 52 Tore erzielt hat, gehörte das historische 39. Treffen am 24. Februar 2003, als mit 33:32 endlich der erste SG-Auswärtssieg glückte. „Ein geiles Erlebnis“, so Fegter, dem zwei Tage später auch noch ein Heimsieg im Pokal-Viertelfinale folgte.

Am Sonnabend wird er mit seinem Freund und früherem Mitspieler Stephan Lache das 104. Derby vor dem Fernseher verfolgen. „Bis vor ein paar Tagen war ich sehr optimistisch. Leider hat Corona den guten Lauf der SG gebremst. Da fällt mir eine Prognose schwer“, sagt Jan Fegter.

Klaus-Dieter Petersen

„Heute frisch – Meisterfisch“, stand auf den Shirts, die die Kieler präpariert hatten. „Wir wollten vorbereitet sein“, schmunzelt Klaus-Dieter Petersen noch heute. Mit Rechtsaußen Martin Schmidt war der Kreisläufer auf Einkaufstour in einem Buddelshop in Hamburg gewesen, hatte Gummistiefel, Zebra-Kopftücher und blau-weiße Fischerhemden besorgte. „Wir haben alles im Bus verstaut“, erzählt Petersen. Unbedingt wollte er den zehnten Meistertitel mit dem THW Kiel einfangen – ausgerechnet in der Halle des Erzrivalen aus Flensburg, wo im Mai 2002 am letzten Spieltag ein Sieg her musste, um Platz eins vor Nordhorn zu behaupten.

Das 26:24 war ein hartes Stück Arbeit.

Die Kieler lagen fast die gesamte zweite Halbzeit zurück. Beim 23:23 (53. Minute) gab THW-Trainer Noka Serdarusic Kreisläufer Petersen klare Anweisungen. „Ich sollte jeweils einen Schirm für Rückraumspieler Julio Fis stellen“, erinnert sich „Pitti“. Der Kubaner sollte ungehindert aus der zweiten Reihe werfen. Und tatsächlich: Fis warf zwei Tore, Staffan Olsson eines. „Damit haben wir das Spiel gedreht, Nordhorn hat vergeblich auf unseren Ausrutscher gehofft.“ Fans stürmten das Feld, die Ordner konnten nicht dagegenhalten. Es dauerte, ehe DHB-Präsident Ulrich Strombach THW-Kapitän Stefan Lövgren die Schale überreichen konnte.

Anschließend feierten die Zebra-Fischer in Kiel nicht nur den Titel, sondern auch den Abschied ihres Welthandballers Magnus Wislander. Auf einem Schild war zu lesen: „Die dicksten Fische fängt man an der Kieler Förde.“ Petersen führte die Spieler-Polonaise durch alle Kneipen vom Rathausmarkt bis zur Ostseehalle an. Er findet: „Deutscher Meister werden war immer und überall schön. Wenn die Schale nicht bei uns ist, soll sie wenigstens in Schleswig-Holstein bleiben.“

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