Trainer Maik Machulla über Druck, die neue Saison und Personalspiele

Maik Machulla blickt im Interview optimistisch, aber auch mit gewissen Sorgen auf die lange und harte Handball-Saison, die vor der SG Flensburg-Handewitt liegt.

Zwei Mal Meister, zwei Mal Vize – wie wird Ihre fünfte Saison als Cheftrainer?
Wir haben den Ehrgeiz, ganz oben stehen zu wollen. Wir haben vier Jahre sehr konstant auf hohem Niveau gespielt. Wir hatten immer bis zum letzten Spieltag die Möglichkeit Meister zu werden, in der vorigen Saison fehlte nur eine Haarbreite – das ist außergewöhnlich stark in Anbetracht der angespannten Personalsituation.

Inzwischen erwartet man ja gar nichts anderes mehr…
Die Mannschaft hat die Qualität, jedes Jahr um die Meisterschaft zu spielen. Das ist die Erwartungshaltung, die wir uns erarbeitet haben. Das ist gut, da wir die höchsten Ansprüche an uns haben sollten. Aber es ist kein Selbstläufer. Der THW hat den größten Etat, kann international die besten Spieler verpflichten. Das können wir nicht. Wir haben eine andere Philosophie. Aber wir sind mutig genug, um zu sagen: Wir wollen dabei sein, wenn es um die Meisterschaft geht – möglichst bis zum letzten Spieltag.

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Wird es wieder ein Duell zwischen SG und THW?
Ich habe großen Respekt vor Magdeburg und Berlin. Magdeburg hat wirklich zugelegt mit Kay Smits, Philipp Weber und Magnus Saugstrup. Das ist ein Zugewinn an Qualität auch in der Breite. Magdeburg geht mit 17 Mann in die Saison. Berlin hat sich stabilisiert unter Trainer Jaron Siewert, mit Viran Morros kommt ein sehr erfahrener Mann. Die Füchse muss man auf der Rechnung haben. Auch die Rhein Neckar Löwen werden wieder oben angreifen.

Welche Rolle werden die nun wieder vollen Hallen spielen?
Letztes Jahr hat es viele ungewöhnliche Ergebnisse gegeben. Magdeburg zum Beispiel hat viele Punkte liegenlassen, die früher mit diesem unglaublichen Publikum im Rücken nicht verloren wurden. Die Stadt lebt Handball. Mit dieser Euphorie und den letzten Prozenten, die in leerer Halle gefehlt haben, wird Magdeburg zu alter Heimstärke zurückfinden.

Welche Umstellung bedeuten laute Kulissen für Euch?
Für die Spieler war es vor leeren Rängen emotional sehr schwierig, auf ihr Topniveau zu kommen. Für mich als Trainer war es richtig gut, von außen so viel Einfluss nehmen zu können. Wenn ich jetzt etwas reinrufe, hört es keiner mehr. Es sind kleine Dinge wie ,geh raus!’ oder ,bleib hinten!’ oder ,pass auf!’, weil man auf der Bank die Ruhe und den Überblick hat, Auftakthandlungen besser zu lesen. So was wird wegfallen. Aber unsere Fans haben uns unglaublich gefehlt. Sie sind definitiv ein Faktor, die ein Spiel beeinflussen, indem sie uns zu den letzten Prozenten pushen. Auf diesen Rückhalt in der Flens-Arena freue ich mich sehr.

Wie lassen sich die besondere Einstellung und die Leidenschaft, die sich in der Personalnot der vorigen Saison entwickelt haben, erhalten?
Es ist ja das Bequemste und Menschlichste, in einer schwierigen Situation aufzugeben und zu sagen: ,Es kann ja keiner böse sein, wir haben ja ein Alibi’. Wir haben das Gegenteil gemacht und das ist der einzig richtige Weg: Nicht jammern, sondern das Beste aus der Situation machen. Wie einige Spieler als Handballer, aber auch als Persönlichkeit gereift sind, ist großartig. Wir reden immer von Profis. Aber am Ende sind das junge Männer in ihrer Entwicklung. Was beispielsweise Magnus Röd auf die Schultern geladen wird, kann man einem 23-Jährigen eigentlich gar nicht zumuten. Die Saison hat allen gezeigt, dass wir als Mannschaft fast alles erreichen können, wenn wir zusammenhalten.

Wenn es gut geht, stellt sich die Mannschaft bald nicht mehr automatisch auf…
Auch ein Johannes Golla wird sich mal auf der Bank wiederfinden. Damit muss man leben und sich mental darauf vorbereiten. Ich werde als Trainer mehr erklären müssen. Im Tor haben wir eine neue Situation mit Kevin Möller und Benjamin Buric. Wir müssen beide mit Energie versorgen.

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Die Belastungen werden kaum weniger, obwohl in der 18er-Bundesliga vier Spiele wegfallen. Dafür gab es nur eine kurze Vorbereitung.
Es wird schlimmer und schlimmer. Wir schicken Spieler in die Saison, die körperlich und mental gar nicht darauf vorbereitet sind. Ich hoffe, dass Franz Semper, Göran Sögard und Magnus Röd schnell zurückkommen und wir die Breite des Kaders nutzen können, um auch der Verantwortung, die wir den Spielern gegenüber haben, gerecht zu werden. Wir müssen sie schützen. Aber das Geschäft ist brutal. Am Ende müssen wir liefern. Ich muss immer die Mannschaft auf der Platte haben, die gut funktioniert. Wenn einer 50 Minuten spielt, müssen wir Training und Regeneration entsprechend steuern. Das ist für uns als Trainerteam die wohl größte Herausforderung.

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Gibt es Konsequenzen aus der ungewöhnlichen Verletzungsserie der vorigen Saison?
Wir sind nach der Analyse der Meinung, dass es viel Pech war. Aber wir erheben noch mehr Daten, um zu erkennen, wann ein Spieler so überlastet ist, dass er nicht trainieren kann und nur Behandlung bekommt. Keiner unserer Spieler verliert Qualität, wenn er mal eine Einheit nicht mitmacht. Wir brauchen auch viel Eigenverantwortung der Spieler, was Schlaf und Ernährung angeht. Wir gehen alle gerne ins ,Macedonia’ und essen eine Fleischplatte. Aber wenn ich das vier Mal pro Woche mache, habe ich ein Problem. Ich erwarte, dass man professionell lebt.

Wäre mehr Risiko beim Wechseln zum Verteilen der Belastung eine Option?
Ich muss mutiger werden und in Phasen, wo es sehr gut läuft, sicherlich auch mal wechseln und einen möglichen Bruch einkalkulieren. In der Vergangenheit war Nikolai Jacobsen ein bisschen Vorbild für mich. Er hat in der Bundesliga weitgehend mit acht Leuten gespielt und in der Champions League viel rotiert. Damit ist er zwei Mal Meister geworden. Ich möchte den Fokus auf beide Wettbewerbe legen und trotzdem rotieren. Dann aber nicht in Blöcken, sondern in kleinen Teilen. Ein Spieler, der 30 Minuten durchspielt, hat eine höhere Belastung als einer, der insgesamt genauso lange spielt, aber zwischendurch Pausen bekommt.

Jacobsen wurde vorgeworfen, die Champions League abzuschenken. Auch bei der SG gab es Jahre, in denen die Gruppenphase als Experimentierfeld genutzt wurde. Ist das vorbei?
Es ist unfair, wenn Außenstehende meinen, dass die Champions League weggeschenkt wird. Beispiel: Wir haben gerade in Kiel gespielt und fahren nach Barcelona. Wenn Hampus Wanne und Lasse Svan in Kiel 60 Minuten gespielt haben und ich fange in Barcelona mit Emil Jakobsen und Marius Steinhauser an, dann ist das kein Signal: ,Das schenkt er jetzt weg’. Das wäre respektlos gegenüber den Spielern. Ich will trotzdem gewinnen. Jakobsen und Steinhauser spielen bei der SG, weil sie in Barcelona eine Superleistung bringen können. Aber ich nehme in Kauf, dass gewisse Sachen nicht funktionieren, weil die Eingespieltheit eventuell nicht da ist.

Bitte eine kurze Einschätzung zu den Neuzugängen Aaron Mensing, Anton Lindskog, Kevin Möller, Emil Jakobsen.
Aaron Mensing hat einen unglaublichen Wurf und ist sehr spielintelligent. Man sieht, wie er immer breitere Schultern bekommt, wenn er mit Mads Mensah und Jim Gottfridsson auf der Platte steht. Anton Lindskog ist ein schlauer Abwehrspieler, ist stark im Block und kann ein Spiel sehr gut lesen. Im Angriff werde ich zunächst auf Golla und Hald setzen. Aber wir haben bei allen Dreien die Möglichkeit, mit zwei Kreisläufern in die zweite Welle zu gehen – ohne Wechsel in der Vorwärtsbewegung. Darauf freue ich mich. Kevin Möller hat in Barcelona Gewinnermentalität dazubekommen, ist als Persönlichkeit gereift und als Torwart noch besser geworden. Emil Jakobsen wird sich erst an alles gewöhnen müssen: Sprache, Belastung, Reisestrapazen. Wurfvariabel ist er ohne Ende – aber: Mir ist manchmal das einfache Tor lieber.