Vor der Handball-EM: Wird Corona zum Titelfaktor?

Seit knapp drei Monaten hat Bob Hanning beim Deutschen Handballbund (DHB) nichts mehr zu melden. Zumindest offiziell. Was ja keinesfalls automatisch heißen muss, dass sich der langjährige Vizepräsident von nun an auch nicht mehr äußert. Mal ganz abgesehen davon, dass er ja auch liebend gern gefragt wird. Hanning liefert immer. Kurz. Präzise. Prägnant. Auch diesmal. "Wer die wenigsten Corona-Fälle hat, wird Europameister", sagte der 53-Jährige jetzt dem "Kicker" – und könnte damit knapp eine Woche vor dem Turnierstart in Ungarn und der Slowakei sogar recht haben. Denn die sich häufenden Infektionen bei mehreren Mannschaften sorgen schon jetzt für Personalprobleme bei manch einem EM-Teilnehmer.

Nur fünf statt 14 Tage

Bekannt ist, dass die Nationalteams von Schweden, Dänemark, Tschechien, Montenegro, Slowenien, Serbien, Bosnien und Kroatien mit Corona-Fällen zu kämpfen haben. Die jeweiligen Verbände bestätigten Infektionen in ihren Teams. Bei den Serben ist beispielsweise Bogdan Radivojevic betroffen. Der ehemalige Rechtsaußen des Bundesligisten Rhein-Neckar Löwen sitzt momentan in Belgrad fest, isoliert von den Kollegen lebt er in einem Hotelzimmer. Im Gespräch mit dieser Redaktion ist der Linkshänder skeptisch, was die EM angeht: "Es werden immer mehr Corona-Fälle. Das ist schlimm." Der 28-Jährige fragt sich sogar, ob eine Turnier-Absage nicht besser wäre.

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Doch dieses Szenario sieht der Plan des Europäischen Handballverbandes (EHF) bislang nicht vor. Im Gegenteil: Die EHF ist sogar bereit, ihre eigentlich strengen Corona-Regeln aufzuweichen. Zunächst hieß es, dass infizierte Spieler erst 14 Tage nach ihrem ersten positiven Test zur EM fahren dürfen. Nun wird diese Frist dramatisch reduziert. Auf fünf Tage. Zudem müssen die Spieler einen negativen PCR-Test vorweisen. Nach Erhalt eines zweiten negativen PCR-Ergebnisses vor Ort sind die Spieler einsatzberechtigt.

Deutscher Handballbund: Alle PCR-Tests negativ

Bei während der EM nachgewiesenen Infektionen sind ab dem fünften Tag nach der Infektion zwei PCR-Tests hintereinander im Mindestabstand von einem Tag durchzuführen. Erst bei zwei negativen Ergebnissen dürfen die betreffenden Spieler wieder eingesetzt werden. Die EHF beruft sich bei ihrer Entscheidung auf Erfahrungswerte der Frauen-EM im Dezember 2020.

Zuvor hatte es an der 14-Tage-Regel scharfe Kritik gegeben, der schwedische Nationaltrainer Glenn Solberg sprach von einer "sehr, sehr strengen Regel". Doch die ist ja nun Geschichte. Mit welchen Auswirkungen – das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht prognostizieren.

"Ich bin mir zu 100 Prozent sicher, dass die EHF und ihr Hygieneteam keine Regelung treffen werden, die das Infektionsrisiko innerhalb des Turniers erhöht. Stand jetzt spielt das für uns ohnehin keine Rolle. Auch heute waren wieder alle PCR-Tests negativ", sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer vor den beiden Testspielen am Freitag (16 Uhr) gegen die Schweiz mit Superstar Andy Schmid von den Rhein-Neckar Löwen in Mannheim und am Sonntag (19.05 Uhr) in Wetzlar gegen Olympiasieger Frankreich. Beide Gegner waren kurzfristig eingesprungen, nachdem die Serben die geplanten Partien wegen ihrer Corona-Fälle absagen mussten.

Kohlbacher fehlt weiterhin

Die Deutschen wiederum werden in den zwei Härtetests weiterhin auf Löwen-Kreisläufer Jannik Kohlbacher (Adduktorenprobleme) verzichten müssen, wie Kromer bestätigte: "Kohli fühlt sich zwar sehr gut. Wir wissen aber, dass die Verletzung vielleicht schwerwiegender sein kann als seine subjektive Wahrnehmung. Es ist einfach ein großer Schritt zwischen allgemeinem Wohlbefinden und der Möglichkeit, ein EM-Spiel zu bestreiten."

Während Kohlbacher den Deutschen also wohl mindestens zum Turnierstart gegen Belarus (14. Januar, 18 Uhr) fehlen wird, eröffnet die nun geltende Fünf-Tage-Corona-Regel anderen Verbänden neue Möglichkeiten. Kroatien hatte schon befürchtet, die ganze Vorrunde ohne seine infizierten Superstars Domagoj Duvnjak und Luka Cindric bestreiten zu müssen. Dänemark kann nun vom ersten Spiel an mit Torwart Jannick Green vom Bundesliga-Spitzenreiter Magdeburg planen. Immer vorausgesetzt, die Tests fallen negativ aus. Die neue Regelung "erhöht sicherlich auch die Chancen, dass ein Team in einer höheren Qualität aufläuft", sagte Kromer gegenüber dem Sport-Informationsdienst. Eine Garantie für mehr Sicherheit ist sie wahrscheinlich aber nicht.