Sascha Zollinger und der Bundesliga-Ausflug zu den Rhein-Neckar Löwen

Mit der kurzfristigen Verpflichtung von Coach Ljubomir Vranjes endete die Zeit von Sascha Zollinger als Co-Trainer der Rhein-Neckar Löwen.

Der Geschäftsführer und Verbandstrainer des Handballverbandes Schleswig-Holstein (HVSH) sollte den Bundesligisten aus Mannheim eigentlich bis zum Sommer an der Seite von Klaus Gärtner – beide arbeiteten schon von 2008 bis 2012 gemeinsam im Nachwuchs der SG Flensburg-Handewitt – durch die Saison führen, aber sportlicher Misserfolg und die Personalie Vranjes beendeten Zollingers Engagement vorzeitig.

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Im Interview spricht der 45-Jährige über Eindrücke, Erkenntnisse und Lerneffekte.

Herr Zollinger, ist das halbe Jahr bei den Löwen mit dem Wort ,turbulent‘ passend beschrieben?

Turbulent war es mit Sicherheit. Ich würde noch überraschend, herausfordernd, spannend, bereichernd und leider auch ernüchternd hinzufügen.

Ernüchternd, weil Sie die Aufgabe nicht zu Ende bringen konnten?

Natürlich fühlt es sich ein Stück weit wie eine Niederlage an. Aber ich bin weit weg davon, zu sagen, dass es mies gelaufen ist. Ich hatte nichts zu verlieren, weil ich einen Top-Job beim HVSH habe, in den eine Rückkehr im Sommer 2022 bereits im Vorwege feststand. Ich würde es immer wieder machen, weil ich ganz viel mitgenommen habe.

Was denn?

Es war ein Privileg, immerhin ein halbes Jahr im ganz großen Karussell mitfahren zu dürfen und mit Weltklasse-Handballern zu arbeiten. Ich habe mein eigenes Setup unheimlich erweitert, weil ich mich als hauptamtlicher Co-Trainer von Klaus Gärtner den ganzen Tag auf Handball konzentrieren konnte. Beispiel Videostudium: Was sonst nur zeitlich begrenzt abends möglich war, konnte ich über Tag machen.

Was waren Ihre Aufgaben?

Im Training habe ich individuell und positionsspezifisch mit den Spielern gearbeitet. Außerdem war ich für die Integration der Nachwuchsspieler ins Training zuständig und habe beim Scouting geholfen. In der Spielvorbereitung war meine Aufgabe, ausgewählte individuelle Stärken des Gegners im Video zusammenzufassen. Wenn du zum Beispiel auf die SG triffst, kannst du ja nicht alles verteidigen, sondern musst dich auf einzelne Dinge fokussieren, etwa die Achse Gottfridsson-Golla. Im Spiel selbst habe ich auf der Bank beobachtet und Feedback-Gespräche mit den Spielern geführt. Im Nachgang lag die Schiedsrichter-Bewertung bei mir. All das war sehr erfüllend.

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Wurden Sie von der Mannschaft respektiert?

Ich habe mich schon gefragt, wie eine Truppe mit deutschen und ausländischen Nationalspielern mit jemandem umgeht, der bisher nur im Nachwuchsleistungsbereich unterwegs war. Bekomme ich da eine faire Chance? Aber wie es im Sport so ist, wurde ich richtig gut auf- und angenommen.

Sie gingen mit Platz elf und 14:20 Punkten – warum lief es sportlich für Löwen-Verhältnisse so bescheiden?

Es war von Anfang an klar, dass es mit Klaus und mir ein Übergangsjahr wird, bevor im Sommer Sebastian Hinze den Trainerposten übernimmt. Unser Auftrag: Junge Spieler wie Juri Knorr, Kristjan Horzen, Philipp Ahouansou oder David Späth entwickeln. Dass deren Leistungen schwanken, war klar. Unvorhersehbar war, dass Uwe Gensheimer einen Großteil der Hinrunde verletzt ist, dass wir keine stabilen Linkshänder im Rückraum haben, dass im Tor Andreas Palicka, Mikael Appelgren und später auch David Späth ausfallen.

Die Löwen haben mit die meisten Gegentore der Liga kassiert…

Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Bundesligist jemals so ein Pech im Tor hatte. Phasenweise war Nikolas Katsigiannis unsere Nummer eins, dahinter ein A-Jugend-Mann. Das war so nie geplant und macht auch etwas mit der Abwehr davor.

Wäre aufgrund dieser Voraussetzungen etwas mehr Geduld wünschenswert gewesen?

Am Ende ist es ein Business, das oberflächlich ist. Du bist abhängig von Ergebnissen, das ist im Sport ungeschriebenes Gesetz. Kaum einer guckt am Ende im Detail, warum die Ergebnisse nicht da waren. Der Druck von außen ist groß.

Kommen die Löwen, die nicht lange her zwei Mal Deutscher Meister waren und ein Topclub sein wollen, wieder dahin?

Puh, das ist eine schwierige Prognose. Ich bin gespannt, ob Ljubomir Vranjes die Trendwende schafft. Sicher bin ich mir, dass mit Sebastian Hinze wieder Kontinuität in den Verein kommt. Bis die Löwen wieder um Platz drei oder vier mitspielen, wird es aber dauern. Auf Sicht sehe ich einfach nicht, dass Flensburg, Kiel, Magdeburg und Berlin nachlassen. Und Hinze ist ja kein Zauberer, das wird ein Projekt über mehrere Jahre. Dazu kommt: Andy Schmid wird ein Loch hinterlassen, wenn er im Sommer geht.

Wie haben Sie es geschafft, im zurückliegenden Halbjahr Ihrer Rolle als HVSH-Geschäftsführer gerecht zu werden, die in Nebentätigkeit parallel zum Co-Trainer-Job in Mannheim lief?

Mein Tag sah so aus: 6.30 Uhr bis 8 Uhr HVSH, von 8 Uhr bis 17.30 Uhr Löwen, abends wieder HVSH. Als Geschäftsführer kannst du es nicht ein Jahr einfach laufen lassen. Ich bin also zwischen zwei Welten gependelt. Wenn ich jetzt nochmal über Ihre erste Frage nachdenke: ,Turbulent‘ trifft es echt gut.

Inwiefern profitiert der HVSH von Ihrem Ausflug?

So gesehen war der Geschäftsführer ein halbes Jahr auf Fortbildung. In alle Aufgaben, die der HVSH hat – Traineraus- und -fortbildung, Auswahlwesen, Spielbetrieb, Schiedsrichterwesen, Jugend- und Breitensport – kann ich nun einen Mehrwert bringen. Mein ohnehin gutes Netzwerk zum Deutschen Handballbund und zur Handball-Bundesliga konnte ich ausbauen, ich hatte direkten Kontakt zu Entscheidungsträgern. Als Trainer bin ich einen deutlichen Schritt vorangekommen. Handball auf diesem Niveau zu verstehen, ist etwas ganz anderes als Handball im Nachwuchs zu verstehen. Aus jedem Gespräch mit Andy Schmid oder Uwe Gensheimer konnte ich etwas mitnehmen und Rückschlüsse ziehen, wie wir im Nachwuchs gezielter arbeiten können.

Ist das denn anwendbar?

Ja, zum Beispiel im Timing bei bestimmten Auslösehandlungen. Dadurch, dass ich jetzt weiß, wie das auf Spitzenniveau läuft, habe ich viel mehr Detailwissen, das auf die Altersstufen runtergebrochen konkret anwendbar ist.

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