Ende einer Mammut-Saison: THW Kiel zum 22. Mal deutscher Meister

Für einen Wimpernschlag lag die Meisterschale in Form des Balles in den Händen von Andy Schmid. Der Regisseur der Rhein-Neckar Löwen zog ab, warf über das Tor – und machte den THW Kiel zum Meister.

„Ich bin enorm stolz auf die Jungs. In meinen Augen haben wir das sowas von verdient“, brachte „Zebra“-Trainer Filip Jicha hervor. „Ich hoffe, es gibt gleich kalte Getränke in der Kabine“, meinte Kiels angeschlagener Kreisläufer Patrick Wiencek. Er sollte nicht enttäuscht werden.

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Der Jubel auf Seiten der Kieler stürzte den Nord- und Titelkonkurrenten aus Flensburg in tiefe Trauer. Der gewonnene Direktvergleich gegen die SG reichte dem deutschen Handball-Rekordmeister nach einem 25:25 (13:12) in Mannheim.

Duvnjak und Bilyk stemmen die Schale

Erst als der erste Jubel in der Arena verklungen war, hatte der Kieler Kraftakt ein Ende. Erschöpft und erleichtert, lächelnd und lachend lagen sich Spieler und Trainerteam in den Armen.

Für die ganz große Euphorie fehlten die Energiereserven, die zuvor das letzte harte Stück Arbeit auf dem Weg zum Titel aufgezehrt hatte. Die Medaillen mussten sich die Spieler coronabedingt selbst nehmen und umhängen – so wie sie zuvor auch die letzte Meisteraufgabe selbst hatten lösen müssen.

Als HBL-Präsident Uwe Schwenker und HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann dann die Meisterschale an Domagoj Duvnjak überreicht hatten, holte der kroatische Kapitän den so lange verletzten Nikola Bilyk dazu, gemeinsam reckten sie die Trophäe in die Höhe. Duvnjak sagte über den österreichischen Rückraumakteur:

 

Später am Abend folgte dann eine Meisterfeier der besonderen Art. Nach dem Rückflug in den Norden enterten die „Zebras“ im Marinehafen in der Wik die „MS Düsternbrook“, schipperten mit dem vollelektrischen Kahn der Kieler Schlepp- und Fährgesellschaft vor der Kiellinie entlang  und präsentierten die Schale den  feiernden Fans.

Auf dem Zahnfleisch ins Ziel

Ein wenig Schlepp- und Fährgesellschaft steckte gestern auch im Spiel des THW. Am Ende einer kräftezehrenden Saison schleppten sich die „Zebras“ vor den Augen von Bundestrainer und Ex-Kiel-Meistercoach Alfred  Gislason auf dem Zahnfleisch ins Ziel. Früh war klar, dass ein Zählen auf mögliche Schützenhilfe bloßes Wunschdenken sein würde, zu schnell und zu hoch lag Balingen-Weilstetten in Flensburg im Hintertreffen.

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Zeitgleich mühte sich der THW in Mannheim, die Löwen waren bissig und schenkten dem Gegner rein gar nichts. Das Auf und Ab der Saison spiegelte sich wieder – auf 60 Spielminuten komprimiert. Der THW lag hinten (3:1/7.), lag vorn (6:8/17.), lag wieder hinten (10:8/22.) und zur Pause wieder vorn (12:13/30.). Löwen-Keeper und Ex-Kieler Andreas Palicka machte dem THW das Leben schwer, der Siebenmeterstrich war auch kein Kieler Freund an diesem Tag.

Drama in Halbzeit zwei

Das Drama nahm im zweiten Abschnitt ungeahnte Ausmaße an. Niklas Landin im Tor des THW steigerte sich, hielt waghalsig gegen Jerry Tollbring (38.), Palicka ließ Sander Sagosen (37.) und Duvnjak (38.) verzweifeln. Doch die Kieler warfen sich nach jedem freien Ball, fighteten bis zum Umfallen.

Wiencek biss auf die Zähne und schleppte sich mit lädiertem Wadenbein für den entkräfteten Hendrik Pekeler aufs Feld. Der THW bog auf die Siegerstraße ein. Filigranes Zuspiel von Miha Zarabec auf Pekeler (42.), grenzwertige Wucht von Duvnjak (42.) – mit drei Toren lag der THW in Führung (17:20/42.). Und dann? Dann rappelten sich die Löwen auf, kamen dichter, glichen aus (20:20/50.), gingen in Führung (22:21/53.) – Flensburg frohlockte.

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Das Wechselspiel wurde zum Wechselbad der Gefühle für den THW. Kieler Kraftmeierei contra doppeltem Schmid-Hammer. Ausgleich, Rückstand, Ausgleich, Rückstand, Ausgleich, Rückstand – Ausgleich Zarabec (25:25/ 58.). Ballverlust Schmid, Ballbesitz Kiel, Fehlpass Zarabec, letzter Angriff für die Löwen.

Es war mittlerweile nur noch ein reines Stemmen gegen den zweiten Platz. Pekeler bremste Ex-„Zebra“ Lukas Nilsson – Zeitstrafe. In Unterzahl hebelte Steffen Weinhold Mannheims Schmid aus. Noch zwei Sekunden, Freiwurf Löwen. Die Schale lag in Form des Balles in der Hand des Schweizers. Der Rest: Kieler Glückseligkeit.

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„Das war die schwerste Saison meiner Karriere“, stöhnte ein erschöpfter Duvnjak im „Titel verteidigt“-Shirt und vergaß den enttäuschten Landesrivalen nicht:

 

Statistik

Rhein-Neckar Löwen – THW Kiel 25:25 (12:13)

Rhein-Neckar Löwen: Palicka, Späth – Schmid (7/1), Gensheimer (6/5), Veigel, Kirkelökke (2), Lagarde (1), Patrail, Tollbring (2), Ahouansou, Abutovic, Groetzki (3), Gislason, Nielsen, Nilsson (2), Kohlbacher (2)

THW Kiel: N. Landin, Quenstedt – Ehrig (2), Duvnjak (4), Sagosen (5/2), Reinkind (2), M. Landin (1/1), Sunnefeldt, Weinhold (2), Wiencek, Ciudad (n.e.), Dahmke (3), Zarabec (4), Voigt (n.e.), Horak, Pekeler (2)

Schiedsrichter: Schulze/Tönnies (Magdeburg) – Zuschauer: 250 – Siebenmeter: 5/5:7/3 – Zeitstrafen: 5:3