SG Flensburg-Handewitt beweist erstaunliche Widerstandskräfte

Maik Machulla ist alles andere als ein Pessimist. Daher klang es drastisch, als er die SG Flensburg-Handewitt vor der neuen Handballsaison als „nicht konkurrenzfähig“ einschätzte. Da stand der Trainer allerdings unter dem Eindruck frischer Verletzungen von Johannes Golla und Jacob Heinl. Seine Abwehr – die Basis allen Erfolges – war gesprengt.

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Nur zwei Niederlagen

Umso erstaunlicher ist die Entwicklung der SG in der Spielzeit unter Corona-Bedingungen. Die Flensburger gehen als Bundesliga-Tabellenführer in die WM-Pause und stehen in der Champions League punktgleich mit Kielce an der Spitze der Gruppe A. Am 22. Dezember gelang der 44. Liga-Heimsieg in Folge. Machulla sagte danach:

 

Er meinte nicht nur den Erfolg gegen Erlangen, sondern die gesamte Bilanz nach dreieinhalb Monaten unter Volldampf. Allein der THW Kiel und Vardar Skopje waren in der Lage, die SG zu bezwingen.

Nicht konkurrenzfähig? Da irrte Machulla, wenngleich er das harte Urteil insoweit relativierte, als dass er damit den Wettbewerb in der absoluten Spitze meinte. Hätte er aber im September geahnt, was  alles auf ihn zukommt, wäre die Prognose noch trüber ausgefallen. Kaum ein Spieler kam unbeschadet durch die bislang 23 Pflichtspiele. Besonders heftig erwischte es die Neuzugänge Franz Semper (Kreuzbandriss und Meniskusschaden) und Lasse Möller (Handoperation).

Alternativen waren rar angesichts von nur 15 Stammkräften plus Aushilfskreisläufer Domen Pelko und Youngster Magnus Holpert.

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Improvisationskünstler

Wer gesund war oder wenigstens geradeauslaufen konnte, wurde bis zum 27. Dezember auf das Äußerste beansprucht. Dabei bewies die SG erstaunliche Widerstandskräfte – in jeder Hinsicht. Dass Flensburg als eine der wenigen Mannschaften in Europa bisher keine Corona-Infektion zu verzeichnen hatte, hat gewiss mit Glück zu tun, deutet aber auch auf extrem hohe Disziplin bei der Einhaltung der Hygiene-Regeln hin.

Noch bemerkenswerte war, wie Trainer und Spieler alle Widrigkeiten beiseite wischten. Machulla hat oft betont, dass er keine Entschuldigungen mag. Es hätte reichlich gegeben, aber die Flensburger gingen in jedes Spiel mit der Überzeugung, dass es gewonnen werden kann. Teamgeist, Kreativität und Flexibilität kompensierten die personellen Probleme. Machulla, Co-Trainer Mark Bult und die Mannschaft bewiesen Improvisationstalent.

Mensah ein Glücksgriff

Simon Hald, für den nach elf Monaten Spielpause wegen eines Kreuzbandrisses ein behutsamer Einstieg geplant war, musste anfangs im Abwehrzentrum trotz Patellasehnenschmerzen durchspielen – mit Magnus Röd an seiner Seite. Manchmal half auch Mads Mensah aus, der überdies als Kreisläufer einsprang.

Überhaupt Mensah: Der Däne erwies sich als Glücksgriff. Hatte der 29-Jährige bei den Rhein-Neckar Löwen häufig im Schatten von Andy Schmid gestanden, blühte er in Flensburg auf.

Jim Gottfridssons Genialität kommt so sachlich daher, dass sie sich manchmal erst in tieferer Analyse offenbart. Umso mehr können andere neben dem Schweden glänzen.

 

Mensah kämpft, hat Zug zum Tor, versteht das Spiel und macht wenig Fehler. „Er hat gezeigt, was für ein außergewöhnlicher Spieler er ist“, sagte Trainer Machulla nach dem Sieg beim Bergischen HC Anfang November, als sich Mensah endlich frei von Muskelbeschwerden, die ihn seit der Vorbereitung gequält hatten, entfalten konnte.

Warten auf Möllers Rückkehr

Auf bestem Weg war auch Lasse Möller, der zweite neue Rechtshänder im SG-Rückraum. 26 Tore in fünf Spielen – das sah sehr vielversprechend aus, bis sich der 24 Jahre alte Däne am 4. Oktober beim Sieg in Wetzlar bei einem Sturz so unglücklich an der linken Hand verletzte, dass eine Operation notwendig wurde.

Im Februar wird mit dem Möller-Comeback gerechnet. Dann hat Franz Semper noch einige Monate Rekonvaleszenz vor sich. Der 23 Jahre alte Linkshänder, der aus Leipzig kam, lernte schnell und entwickelte sich zur starken Alternative für Magnus Röd, bevor er durch die schwere Verletzung am 3. Dezember in der Partie gegen Szeged gestoppt wurde.

Gute Siebenmeterquote

Erfreulich war hingegen die Performance vom Siebenmeterpunkt mit 81 Prozent Erfolgsquote. Da hatte die SG in den Vorjahren deutlich größere Probleme. Hampus Wanne war zuletzt eine fehlerfreie Strafwurfmaschine, cool bis in die Haarspitzen.

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Beeindruckend war auch, wie schnell Johannes Golla nach seiner Verletzungspause gleichermaßen als Abwehrrecke und Angreifer die Spur fand. Bei aller Bewunderung für den gerade 23-Jährigen schwingt die Sorge mit, wie er die WM übersteht. Das Turnier in Ägypten, zu dem die SG neun Spieler abstellt, ist wohl das größte Risiko für den weiteren Weg der Flensburger in dieser extrem fordernden Saison.