Melsungen-Schock: Lemke und Heinevetter in Quarantäne

Kassel (dpa) – An das letzte Pflichtspiel können sich die Handballer der MT Melsungen nur noch vage erinnern. Knapp ein halbes Jahr liegt das nun schon zurück – eine gefühlte Ewigkeit in der ansonsten von Terminstress geplagten Branche.

Entsprechend groß war die Vorfreude auf die Rückkehr in den Wettkampfmodus, um die die Nordhessen wegen eines Corona-Falls im Betreuerstab jedoch plötzlich bangen müssen. Der Verein bestätigte, dass sich eine Person aus dem Betreuerteam der MT mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert hat. Melsungen informierte umgehend das Gesundheitsamt der Region Kassel. Die beiden als Kontaktpersonen Nummer 1 identifizierten Nationalspieler Finn Lemke und Silvio Heinevetter haben sich auf Anweisung des zuständigen Gesundheitsamtes in eine 14-tägige Quarantäne begeben, teilte der Verein mit.

Das für diesen Donnerstag geplante Testspiel gegen den Bundesligarivalen TSV Hannover-Burgdorf wurde vorsorglich abgesagt. Ob der Corona-Fall Auswirkungen auf das Hinspiel in der ersten Qualifikationsrunde der European League am Sonntag beim dänischen Vertreter Bjerringbro-Silkeborg hat, blieb zunächst offen.

«In unserem Fall haben wir sehr schnell reagiert, und wir gehen deshalb nach dem derzeitigen Kenntnisstand davon aus, das Ereignis sehr gut eingrenzen zu können und es dadurch bestmöglich zu bewältigen», sagte MT-Vorstand Axel Geerken.

«Es ist zu spüren, dass alle Bock darauf haben, dass es bald losgeht», hatte Nationalspieler Julius Kühn zuvor gesagt. Beim Neustart in eine ungewisse Zukunft nach der Corona-Pause ist die MT, die sich im Sommer mit Torwart Heinevetter (Füchse Berlin) und Rechtsaußen Timo Kastening (Hannover-Burgdorf) weiter prominent verstärkt hat, Vorreiter im deutschen Handball. «Es sind natürlich besondere Bedingungen, alles ist anders als vor Corona», sagte Geerken der Deutschen Presse-Agentur vor Bekanntwerden des aktuellen Falls. Die Stimmung in der Mannschaft sei nun «erst einmal gedrückt», teilte der Club mit.

Die Auswirkungen der Pandemie bekam der Verein deutlich zu spüren – sie haben aber auch überhaupt erst die Teilnahme des Bundesliga-Siebten der Vorsaison an dem eigentlich verpassten Nachfolge-Wettbewerb des EHF-Pokals ermöglicht. Nur weil die TSV Hannover-Burgdorf aus wirtschaftlichen Gründen verzichtete, darf Melsungen international spielen.

Die unverhoffte Chance will das Team des im Februar kurz vor dem Saisonabbruch geholten Trainers Gudmundur Gudmundsson nutzen. «Das erste Ziel ist es, die erste Qualifikationsrunde in der European League zu überstehen. Alles andere ist schwer zu prognostizieren», sagte Geerken mit Blick auf die Saison 2020/21.

Seit einigen Jahren hat sich der Verein im oberen Tabellendrittel der Bundesliga etabliert, der von vielen Experten erwartete Angriff auf die Spitze blieb aber bisher aus. «Um einen weiteren Schritt nach vorne zu machen, braucht es Geduld und konzentrierte Arbeit. Da müssen auch viele Dinge passen. Bekanntlich wird die Luft oben immer dünner und die Schritte werden kürzer. In diesem Prozess befinden wir uns derzeit», sagte Geerken.

Immerhin sechs deutsche Nationalspieler haben die Melsunger in ihren Reihen, dazu einige Topspieler aus dem Ausland wie Kroatiens Kreisläufer Marino Maric und den dänischen Regisseur Lasse Mikkelsen. Dennoch empfindet Geerken keinen Erfolgsdruck, «auch wenn Medien oder Wettbewerber meinen, wir müssen jetzt endlich irgendwelche tollen Sachen erreichen. Wir gehen unseren Weg besonnen weiter, so wie wir das in der Vergangenheit getan haben.»

Zumal die Saison kaum planbar ist. Das zeigt sich schon vor dem ersten Pflichtspiel, das nicht nur wegen Melsungens Corona-Fall auf der Kippe steht. «Es besteht die latente Gefahr, dass wir aufgrund der aktuellen Corona-Entwicklung gar nicht nach Dänemark reisen können, denn die Pandemie-Lage in Silkeborg ist bedenklich», sagte Geerken. «Letztlich muss das die EHF entscheiden.»

Abwehrchef Lemke versuchte, «das alles so gut wie möglich auszublenden», wurde dann aber durch die verordnete Quarantäne kalt erwischt. «Wenn man den Ball in der Hand hat», betonte Rückraumschütze Kühn, «ist fast alles so, wie es vorher war.»

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